Zukunftstraumagentur I-III

Das Projekt Zukunftstraumagentur wurde von 2016 bis 2019 als Kooperation von helfersyndrom und red park realisiert. Die Umsetzung erfolgte im Rahmen einer FLUX-Künstler-Residenz in Büdingen (Wetterau) Künstlerische Leitung: Rahel Seitz, Steffen Popp, Jörg Thums

Was, wenn die Zukunft schon stattfindet – in unseren Träumen? Was, wenn wir unsere Träume untereinander teilen? Was, wenn auf diese Weise eine große Traumsammlung entsteht? Was, wenn diese Träume die Welt verändern?

Zukunftstraumagentur I

In der ersten Phase im Herbst 2016 waren Steffen Popp, Rahel Seitz und Jörg Thums mit einem Zukunftstraum-Mobil in der Stadt Büdingen unterwegs, um die Träume der Bewohner*innen einzu­sammeln. Vorbild war uns dabei u. a. Charlotte Beradts Traumsammlung Das dritte Reich des Traums, die einst den Holocaust vorhersah, sowie die Bewegung des social dreaming. Ganz bewusst wählten wir für unseren Einsatz die Stadt Büdingen aus, die Anfang 2016 gleich zweimal in der medialen Berichterstattung auffiel: Das erste Mal im Januar 2016, als die dortige NPD anlässlich des Jahrestags von Hitlers Machtergreifung zu einem Fackellauf in der Altstadt zu mobilisieren versuchte. Die zweite überregionale Beachtung fand Büdingen dann im März, nachdem die NPD im Wahlkreis Büdingen bei den hessischen Kommunalwahlen ein Gesamtstimmenvotum von 14% erreichte.

Als Ausgangspunkt und Antriebsmotor diente uns für diese Residenzphase die These, dass sich aus den gesammelten Träumen eine mögliche gesellschaftliche Zukunft ablesen lässt. Aus den Träumen der Anwohner*innen und von über 50 Grundschüler*innen der Stadtschule Büdingen erarbeiteten wir eine umfassende Zukunftsprognose für die Stadt und deren Bewohner*innen, die wir als Zukunftstraumagentur mittels der Er­gebnisse aus Befragungen und Workshops entwickelten. Ein Traummotiv hob sich hierbei deutlich von allen anderen ab: Der Traum von einem Hallenbad – am besten mit vielen Riesenrutschen!

Zukunftstraumagentur II

In der zweiten Phase im Frühjahr 2017 wurde das Thema Traum auf Wünsche zur Zukunft ganz allgemein (aber konkret auf Büdingen bezogen) ausgeweitet. Bei regelmäßigen Treffen von interessierten Traumagent*innen versuchten wir, die Büdinger*innen zu Agenten ihrer eigenen Zukunft auszubilden. Zusätzlich waren wir jeden zweiten Tag wir mit einem Traumbett in der Stadt unterwegs und sammelten Träume/Wünsche/Visionen als O-Töne.

Ergänzend zu den offenen Angeboten im Stadtraum Büdingens waren wir erneut an vier Mittwochen an den Stadtschule zu Gast, um die Grundschüler*innen im freien Nachmittagsangebot zu Agent*innen und Superheld*innen auszubilden. Die Kinder konnten sich ihre eigenen Agentenbrillen erstellen. Ihren selbsterstellten Agentenausweis konnten sie direkt nach der Fertigstellung aufessen. Bei weiteren Treffen wurden heldenhafte Wunschszenarien ausgetauscht und schriftlich dokumentiert.

Außerdem verhandelten wir den Aspekt der agentenhaften Selbstermächtigung ebenfalls als Projektwochenangebot in der Dohlberg Haupt- und Realschule. Inhaltlich wurden die Funktionsprinzipien von Traumsammlungen diskutiert, Träume wurden gesammelt, Traumfänger wurden gebaut, Botschaften wurden durch die Schulsprechanlage verlesen, Agentenaufträge wurden erarbeitet und zur Verteilung bei der Projektwochenpräsentation auf Esspapier gedruckt.

Am Ende der Residenzphase wurden die schriftlich vorliegenden Träume von drei Schauspieler*innen der regionalen Theatergruppe TheodoBo eingesprochen und zusammen mit den eingesammelten O-Töne auf einer audiovisuellen Web-Karte hinterlegt. Das hieraus entwickelte Panorama der Träume bildete schliesslich den Abschluss der Residenzphase 2. Der Audiowalk durch die Wunschlandschaft Büdin­gens kann bis heute via Smartphone abgelaufen werden. Die Tondokumente können aber auch jederzeit auf einer interaktiven Karte auf unserer Website angehört werden.

Gerahmt wurde die Abschlusspräsentation durch eine gemeinsam Verkündung eines 10-Punkte-Plans für das Büdingen der Träume. Um diese Forderungen nachhaltig vor Ort zu verankern, folgte auf die öffentliche Verlesung mit Stadträtin Strauch und Bürger­meister Spamer ein zeremonieller Spatenstich mit Grundsteinlegung. Der orangefarbe­ne Grundstein diente hierbei als Markierung für die an diesem Ort vergrabene Traum­kapsel, die den Pfad zu den gesammelten Visionen beinhaltete, die zuvor im Stadtarchiv hinterlegt wurden.

Zukunftstraumagentur III

In der dritten und finalen Residenz entschloss sich helfersyndrom/red park einige der zuvor gesammelten Zukunftsvisionen in performativen Settings real werden zu lassen. Hierfür sollte das Projekt erstmals einen zentralen Leerstand in der Innenstadt besetzen: die Zu­kunftstraumagentur eröffnete ihre eigene „Luftschlosserei“! Diese diente als Anlaufstelle für Realitätsverschiebungsvorhaben aller Art. Insgesamt 15 Kinder nutzen unser 1-wöchige Ganztagsangebot in den Sommerferien, bzw. einen der 8 Nachmittag zu Schulbeginn.

Gemeinsam arbeiten wir an der Vision einer „Luftschlosserei“ im temporären Dauerbetrieb: Wie könnte sie aussehen? Welche Traumpläne sollten dort geschmiedet werden? Am Ende stand ein 4-wöchiger Testbetrieb mit folgendem Angebot (Auswahl):

  • # Wand der Träume Eine Art Schwarzes Brett: Hier konnten Wünsche und Träume formuliert und hinterlassen werden. Das Team der Luftschlosserei versuchte sich dann an der performativen Umsetzung.
  • # Galerie der Erfindungen Ein Ausstellungsbereich im Schaufenster: Hier wurden Schwimmnudel-Skulpturen wie bspw. .Menschenscanner, Riesenqualle, schwedische Gardinen. etc. ausgestellt.
  • # Angst- und Sorgenfresser Ein Angebot des Paktierens: Hier wurden Ängste und Sorgen auf Esspapier gedruckt. Anschliessend wurden sie unter mehreren Personen verteilt und solidarisch weggegessen.
  • # Anti-Schwerkraftstadt Ein Aufruf zur Sichtbarmachung: Hier wurden 100 Heliumballons verteilt, um die Stadt leichter und luftiger zu gestalten – und hierin der massiven Stadtmauer entgegenzuarbeiten.
  • # Büdinger Süssigkeiten-Tapete Ein Re-enactment: Bereits 1966 gab es beim 2. Büdinger Happening erstmals eine Süssigkeiten-Tapete. Alle Besucher*innen durften nach erfolgreicher Interaktion hier eine Süssigkeit anbringen.
  • # Wolkenschloss Ein Ort für Tagträumereien: Dieser abgetrennte Ort verstand sich als Angebot, in Ruhe den eigenen Tagträumen nach zu gehen.

Nach 4 Wochen Dauerbetrieb endete die Luftschlosserei in einem installativen Happening: HALLENBAD für ALLE in der Markthalle. In Absprache mit der Stadträtin, dem Amt für Soziales, Familie und Kultur, der Ehrenamtsagentur und dem Malteser Hilfsdienst terminierten wir die Abschlusspräsentation bewusst auf den Tag des jährlichen Kinderfests der Malteser. Hierfür wird traditionell die Stra ß e, in der sich unsere Agentur befanden, gesperrt und von unterschiedlichen Akteuren der Stadt mit eigenen Angeboten bespielt.

Dem Parallelereignis des Kinderfests ist zu verdanken, dass wir an diesem Tag gleich zwei Orte bespielten. Einerseits hatte die Luftschlosserei weiterhin geöffnet und stellte bei einem Tag der offenen Tür alle Angebote zur Schau. In erster Linie durfte hier am Mutspende-Apparat Mut für die Befüllung eines temporären Hallenbads gespendet werden. Konkret bedeutet dies, dass den Besucher*innen mittels einer Apparatur Mut aus den jeweiligen Körpern entnommen wurde, der dann in Form von Luft in Ballons gefüllt wurde. Die Ballons wurden dann mit Namen und prozentualen Angaben der Mut- Menge versehen, zum Marktplatz transportiert und dort in das aufgebaute Schwimmbecken gefüllt. 5 Stunden zuvor hatten wir dort – am Marktplatz – begonnen ein temporäres Hallenbad zu errichten, da die Tag- und Nachtträume in der ersten Phase der Residenz zentral vom Wunsch nach einem neuen Hallenbad geprägt waren.


Realisiert mit Mitteln des Kulturkoffers Hessen und mit finanzieller Förderung durch »tanz + theater machen stark« – ein Förderprogramm des Bundesverband Freie Darstellende Künste.